Transpyrenea: Gebettelt, zerstochen und zerkratzt.

Von Kathi Schichtl

Mein harter steiniger Weg über die Pyrenäen!

Es sollte das wohl härteste und längste Rennen in meinem Läuferdasein werden. Ein Etappenrennen über die Pyrenäen mir 450 km und 25.000 HM. Timelimit 200 Std. Alle 30 – 70 KM ein Checkpoint (CP) mit Zeitabnahme, Essen und Schlafmöglichkeit. Bereits Wochen vorher habe ich viele Stunden und schlaflose Nächte investiert für Ausrüstungsoptimierung, Streckenplanung, An- und Abreise usw. Dieses Abenteuer ist nahezu selbstautonom. Schlafsack, Isomatte, 7.000 Kcal, Regenponcho und warme Klamotten sind nur ein kleiner Teil der langen Pflichtausrüstung. Ich kam mir beim Rucksack-Check vor wie ein Packesel.

Am Sonntag, den 24.07.2016 ging es dann endlich nach Frankreich in die Pyrenäen nach Bagneres de Luchon zum Start, wo gleichzeitig „Halbzeit“ für die Läufer des Transpyrenea war (895 km und 55.000 HM). Die „Kurzdistanz“ reicht mir voll und ganz aus – man muss ja nicht übertreiben 😉 Start war Dienstag 12 Uhr. Alles ist etwas chaotisch. Erst 5 Minuten vorher erhalte ich meinen Zeitchip. Vom Organisator keine Spur. Wenigstens passt das Wetter, obwohl es drückend heiß ist. Auf ging es also im Speedhikking-Schritt zum ersten Checkpoint (CP12) nach Granges d’Astau und weiter zu CP13 in Vieille Aure – Eigentlich „nur“ 45 km, aber aufgrund der schwierigen Strecke und Terrain, den massigen Höhenmetern und dem 10 Kilo schweren Rucksack komme ich erst um 24 Uhr an. Es war hart, besonders da man beim letzten Berg nicht mal mehr die Hand vor Augen gesehen hat, geschweige denn die Markierungen aufgrund des Nebels. Völlig müde aber zufrieden kroch ich in meinen Schlafsack. Um 6 Uhr wurde ich unfreiwillig geweckt, weil ein anderer Teilnehmer ankam. Der Arme musste leider ohne Schlaf weiterziehen und somit frühstückten wir nur kurz zusammen und ich machte mich wieder auf den Weg. Auf der traumhaften Strecke nach Luz St. Sauveur lief ich eine zeitlang mit Keri Ann und Robbie aus Neuseeland. Sie hatten bereits über 400 km in den Beinen und waren noch ziemlich gut drauf. Ich zog nach einer Weile trotzdem alleine weiter und genoss die Ruhe und die atemberaubende Seenlandschaft. Nach einem elendig langen Anstieg ging es halsbrecherisch wieder ins Tal. Stunden vergingen und irgendwann kam ich völlig ausgelaugt in einem Gasthaus an. Dort habe ich mich mit Limo und einem halben Meter Käsesandwich belohnt. Gestärkt ging es weiter und frustrierenderweise merkte ich erst nach 500 m, dass ich meine Leki-Stöcke im Lokal vergessen hatte. Typisch. Der letzte Abschnitt war mühselig und ich kam erst gegen 20 Uhr im netten Dörfchen Luz St. Sauveur (CP14) an. Kurze Zeit später kamen auch die Neuseeländer an und wir genossen einen netten Abend. Auch wenn alles sehr minimalistisch war. Um 3 Uhr machte ich mich auf der Alternativroute auf nach Cauteretes (CP15). In der Dunkelheit und ohne Track war es eine riesen Herausforderung die Strecke zu finden und ein bisschen mulmig war es mir auch, alleine im Wald rumzustapfen. Aber der Sonnenaufgang und die Morgenstimmung in den Bergen: SAGENHAFT. Im Ort selber hatte ich dann wieder mal Probleme den CP zu finden, ich hatte auch bereits ziemlich heftige Schmerzen in der Schienbeinsehne. Die Helfer waren fürsorglich und peppelten eine übermüdete und heulende Kathi auf. Nach viel Bettelei bekam ich dann auch endlich meinen dritten lauwarmen Instantkaffee….Gestärkt und getaped ging es weiter nach Estaing, wo ich eigentlich schlafen wollte. Aber ein anderer Teilnehmer Jean kam kurze Zeit nach mir an und meinte „hey, only 16 km to go”…. Dass wir für die “only 16 km“ nochmal 5 Stunden brauchen würden, haben wir unterschätzt. Der CP17 in Gourette war unterirdisch und es gab wieder mal keine Dusche. Irgendwann gewöhnt man sich aber an den Geruch…. In der Nacht kamen auch Keri Ann und Robbie an. Dann war allerdings Schluss mit der Ruhe, da Keri nachts ganze Wälder abholzt. Somit gab es eine verfrorene Nacht unter einem atemberaubenden Sternenhimmel für mich. Nachdem wir dann alle kollektiv verschlafen haben, zogen wir erst gegen 7 Uhr los. Keri und ich haben gequasselt am laufenden Band und die Zeit verging wie im Flug. Der Sonnenaufgang war unbeschreiblich, so dass sich das Verschlafen gelohnt hat. Den zweiten Anstieg vorbei am wunderschönen See Lac Bious mit Luxus-Cola für 3 EUR, habe ich alleine fortgesetzt. Nach dem nicht enden wollenden Anstieg stand ich dann am 2.500 m hohen Joch und genoss für ein paar Minuten die kitschig schöne Aussicht mit trockenem Müsliriegel. Es folgte ein stundenlanger Abstieg und nochmal ein letztes Hügelchen mit 1.000 HM bis ich dann endlich nach 52 km auf dem Campingplatz in Ihers ankam. Halb zerstochen von den Stechmücken und zerkratzt von den Dornenbüschen. Dort hab ich mich gefüllt wie im Schlaraffenland. Dusche, Salat, Avocado, frisches Brot, Bergkäse, Bier. Und alles in einer traumhaften Kulisse. Ein nahezu perfekter Abend mit lustigen schwedischen Volontären, bis auf den schnarchenden Zeltnachbarn….um 5 Uhr ging es weiter zum Basecamp in Arette-La Pierre St. Martin, wo ein Dropbag stationiert war. Eigentlich nur 20 km, aber Dunkelheit, knüppelhartes Gelände, Kletterei und Orientierungsschwierigkeiten haben viel Zeit und Nerven gekostet. Einen verirrten Läufer habe ich auch nich aufgegabelt. Dort wurde nur schnell gefuttert, Koffeinspeicher gefüllt, Rucksack neu gepackt und ein paar Selfies mit den Helfern gemacht. Weiter ging es auf dem 50 km Abschnitt nach d’Iraty. Elendig lange An- und Abstiege, eine traumhafte Schlucht mit schwindelerregender Hängebrücke und ein knochenbrecherischer Abstieg ins Tal verlangten wieder alles ab von mir. Im Tal stieß ich bei einem Gasthaus auf Keri Ann und Robbie. Ich bin weinend zusammengebrochen. Meine Füße schmerzten fürchterlich. Dort wurde ich liebenswerterweise von der Frau eines anderen Teilnehmers medizinisch versorgt. Ich wollte keinen Meter mehr laufen. Wieso tat ich mir das an? Aber es waren noch 15 km bis zum nächsten CP… also go go go. Leider kam ich dank Schneckentempo in die Dunkelheit und verlor die Orientierung, so dass ich einen klitzekleinen Nervenzusammenbruch hatte. Gottseidank fanden drei Franzosen eine völlig verstörte Kathi und begleiteten mich eine Weile, damit ich wieder auf den GR10 fand. Kurz nach 22 Uhr kam ich endlich in d´Iraty an. Es gewitterte nun heftig. Keri Ann und Robbie waren auch erst seit 5 Minuten da. Sie hatten ebenfalls die Orientierung verloren. Weinend fielen wir uns wieder in die Arme. Gottseidank gab es eine Dusche und ein richtiges Bett. Die Verhältnisse waren zwar grenzwertig, aber irgendwann ist man nicht mehr so anspruchsvoll. Um 7 Uhr ging es mit schmerzenden Füßen bei Regen weiter zu St. Jean Pied de Port (der bekannte Ausgangspunkt für den Jakobsweg). Von dort weiter nach Baigorry zum CP21. Dieser Tag war ein schwarzer Tag, ein absoluter Tiefpunkt. Ich wollte aufhören und verfluchte meine Füße. Ich habe viel geweint und bin den ganzen Tag alleine zombiemäßig und übermüdet rumgestolpert. Mit der niederschmetternden Einsicht, kapitulieren zu müssen kam ich im CP an. Das Helferpärchen erkannte meine Not und hat mich liebevoll aufgepepelt. Sie versprachen mir, dass es nach einer Tüte voll Schlaf wieder besser sein würde. Es gab sogar frische Tomaten und Rotwein für mich und ich fiel in einen todesähnlichen Schlaf auf einem Feldbett in der Garage. Am morgen wurden meine Füße behandelt und es wurde mir Mut gemacht “This will be your day”! Bis zum letzten CP in Bidarray waren es 16 km, aber ich habe eine Ewigkeit gebraucht. Es ging durch viel nasse Wiesen. Viele Höhenmeter auf und ab und wieder auf und ab. Aber die Aussicht auf dem Hochplateau hat wie immer viel entschädigt. Die CP war unterirdisch, aber ich machte eine lange Pause, damit meine Füße trocken werden konnten. Widerwillige Kalorienstärkung, frische Socken, Zehen abtapen. Die letzten 70 km standen an. Bis Ainhoa waren es 22 km mit den letzten krassen Höhenmetern. Dort war ich wieder kurz davor aufzugeben, weil es meinen Füßen sehr schlecht ging und meine Motivation weit unter null war. Ich habe eine Weile gebraucht, um mich zu sammeln und irgendwie hatte es einen Schalter umgelegt. Nur noch 50 km….wow…auf einmal hatte ich keine Schmerzen mehr und es folgten sogar viele Passagen, auf denen ich laufen konnte. Das Gelände wurde leichter. Und dann sah ich zum ersten mal das Meer und musste weinen! Das hat mich regelrecht beflügelt. Es kam ein Schild 14,6 km to Hendaye und ich fühlte mich kribbelig. Freude, dass ich es bald überstanden habe und Traurigkeit, dass es bald vorbei sein würde. Ein wunderschöner Sonnenuntergang und beim letzten Downhill hatte ich die ganze Zeit einen traumhaften Ausblick auf den beleuchteten Hafen. In Hendaye angekommen ging dann plötzlich gar nichts mehr. Es tat wirklich ALLES weh und ich musste kurz vorm Ziel nochmal Pause machen. Um 2 Uhr in der früh erreichte ich nach 158 Stunden und 2 Minuten den Zielbogen. Kein Mensch da. Ich wusste nicht ob ich weinen oder schreien soll. Dann entdeckte ich den Veranstalter schlafend in einer Ecke und weckte ihn, damit meine Zeit genommen werden kann. Das war ziemlich deprimierend. Es gab kein ordentliches Essen oder Camp. Mental völlig leer verzog ich mich mit einer Packung Erdnüsse und einem Bier in einem Zelt und schlief weinend ein. Ein unterirdischer Empfang nach knapp 450 km. Am nächsten Morgen fand ich Keri Ann und Robbie, die selber ziemlich enttäuscht waren. Eigentlich wollte ich erst am Freitag zurückfliegen, aber ich hatte so Heimweh und fühlte mich schrecklich leer und einsam, so dass ich meinen Flug umbuchte. Ich konnte den Strand und das Meer einfach nicht genießen. Dienstagabend unterhielt ich mich noch lange mit Cyril dem Organisator. Er war stolz auf mich und meine Leistung und meinte, es dauert eine Weile, bis ich alles verdaut hätte und dass jedes Rennen in Zukunft erstmal ein Kinderspiel für mich werden würde. Mal schauen…Mittwoch flog ich zurück und mein Freund überraschte mich mit einem ganz persönlichen Zieleinlauf mit meinen Freunden. Ich war überwältigt und meine Emotionen sprudelten über. Endlich konnte ich realisieren, dass ich gefinished und sogar gewonnen hatte. Ich bin über mich und meinen Körper hinausgewachsen. Es war eine riesen Erfahrung für Körper und Seele mit vielen Höhen und Tiefen…Es ist wahnsinn, welche Strapazen ein Körper aushalten kann, wenn der Kopf versucht, stark zu bleiben. Auch Tage später bin ich noch völlig perplex…. Aber das gute Gefühl stellte sich mehr und mehr ein. Danke an alle, die mitgefiebert und mir gut zugesprochen haben. Ohne diesen Support hätte ich vermutlich aufgegeben. Es war ein grandioses Erlebnis, das ich nicht missen möchte. Viel Dinge werden auf einmal nebensächlich und andere kleine Dinge umso wichtiger. Ich habe tolle Menschen kennengelernt und eine traumhafte Landschaft genossen…Vielleicht laufe ich mal wieder auf dem GR10 – wer weiß ☺

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