Text: Benni Bublak Fotos: Mathys Dymas, Dynafit
“Wizard Sticks!“ war die liebevolle Umschreibung der amerikanischen Trail-Läufer*innen für die Aufstiegshilfen, mit denen sich die europäischen Läufer*innen die steilsten Berge hochzuschrauben schienen. Ein Spitzname, der sehr gut das ambivalente Verhältnis zwischen Anhängern der klassischen Laufdisziplin und dem Laufen mit Stöcken beschreibt. Einerseits das leichte Belächeln: „Welche*r richtige Läufer*in braucht schon Trekkingstöcke?“ Andererseits die Einsicht, dass einige Trailrunner*innen sich mittels der Wizard Sticks im fast magischen Tempo den Berg hochdrücken. #Archivtext
Inzwischen ist das Benutzen von Stöcken allgemein anerkannt und weit verbreitet. Vor allem bei langen Distanzen wo viele Höhenmeter überwunden werden müssen, sind die Läufer*innen mit Stöcken deutlich in der Überzahl. Wo genau also liegt der Vorteil von Stöcken beim Trailrunning? Wir haben darüber mit dem Dynafit-Athleten Hannes Namberger gesprochen. Hannes ist ehemaliger Ski-Alpin Profi und daher von Kindesbeinen an vertraut im Umgang mit Stöcken. Für seine neue Leidenschaft Trailrunning hat ihm das, wie er selbst sagt, nur bedingt geholfen, da die Technik doch eine eigene ist. Technik! Ja genau. Darauf kommt es an. Leider ist es nicht damit getan die Stöcke zu kaufen und in den Rucksack zu packen. Eine gute Stocktechnik will gelernt sein. Hannes hat uns zwei verschiedene Techniken für das Laufen mit Stöcken näher erklärt (siehe Kästen). Dabei handelt es sich um Bergauf- Techniken. Für den Downhill empfiehlt Hannes, so weit möglich, die Stöcke im Rucksack oder am Hüftgurt zu verstauen, um sich vollständig auf die Downhilltechnik konzentrieren zu können. Er schließt aber nicht aus, dass Stöcke auch im Downhill für einige Sinn ergeben können. Gerade bei langsamerem Bergablaufen oder wenn die Beinmuskulatur schon stark mitgenommen ist. Habt ihr euch eine gute Stocktechnik angeeignet, sind Stöcke ein echter Wettbewerbsvorteil. Ihr entlastet effizient eure Beinmuskulatur, indem ihr aus der Oberschenkelmuskulatur Vortrieb generiert. In diesem Fall gibt es auch keine Mindestlänge, die ein Wettkampf oder Lauf haben muss. Bei korrektem Einsatz helfen sie euch schon ab dem ersten Höhenmeter.
Welche Art von Stöcken brauche ich? Trailrunningstöcke gibt es in verschiedenen Ausführungen. Aluminium vs. Carbon. Teleskopstock vs. Faltstock! Fixe vs. variable Länge. Faltstöcke aus Carbon überzeugen vor allem in puncto Gewicht und Packmaß. Teleskop- oder Aluminiumstöcke sieht man nur noch selten. Faltstöcke lassen sich noch mal unterteilen in Faltstöcke mit fixer und variabler Länge. Erstere sind kompromisslos leicht, während letztere die Möglichkeit bieten die Länge zu variieren. Dies kann praktisch sein, wenn ihr eure bevorzugte Stocklänge noch nicht kennt oder wenn ihr im Downhill längere Stöcke bevorzugt als im Uphill. Eine Alternative für reine Uphill-Rennen, aber auch für Läufer*innen, die die Stöcke sowieso nicht wegpacken, sind Fixlängenstöcke. Diese sind extrem leicht und steif und bieten daher beste Kraftübertragung. Oft sind sie noch mit einer besonders scharfkantigen Spitze versehen, wie man sie von Langlaufstöcken kennt. Welche Länge sollten meine Stöcke haben? Ein guter Anhaltspunkt ist die Formel Körpergröße x 0,67. Bei einer Größe von 180 cm ergibt dies eine Stocklänge von 120 cm. Diese Formel ist nicht immer zu 100% exakt, da Armlänge und Körperbau von Person zu Person variieren, meist aber völlig ausreichend. Aber auch persönliche Präferenzen spielen eine Rolle. Hannes beispielsweise nutzt bei einer Körpergröße von 176 cm mit 125 cm ungewöhnlich lange Stöcke. Dies ermöglicht ihm noch mehr Kraft aus dem Oberkörper zu holen und in Vortrieb umzuwandeln. Allerdings ist dafür sehr viel Oberkörperkraft nötig, sodass ein Großteil der Läufer*innen mit kürzeren Stöcken besser beraten ist. Inzwischen gibt es auf dem Markt nicht nur einige wenige Spezialmarken, die unsere geliebten Wizard Sticks anbieten. Die Auswahl wir immer größer.
Transalpine-Sieger und Dynafit-Athlet Hannes Namberger erklärt seine Techniken:
1:1-Technik
Dies ist eine Spezialtechnik von Hannes, wie sie wahrscheinlich die wenigsten von euch anwenden. Aber nicht nur Hannes, auch Luis Alberto Hernando setzt auf diese Technik. Der Ex-Profibiathlet hat sie wohl im Blut, entspricht sie doch größtenteils der Stocktechnik beim klassischen Langlauf. Wie der Name schon verrät, arbeitet man bei dieser Technik mit einem 1:1-Verhältnis von Laufschritten zu Stockeinsatz. Diese sehr hohe Frequenz fordert euch koordinativ, sodass ihr ein wenig üben müsst, bis ihr sie beherrscht. Wichtig ist, dass die Hand den Griff nicht zu fest umgreift. Optimalerweise ist die Handfläche offen und der Stock klemmt nur leicht zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Druck kommt komplett über die Stockschlaufe oder das Trigger Shark-System (Leki). Der Aufsatz des Stocks erfolgt neben oder leicht hinter dem Fuß, wobei die Hand sich mindestens 10 cm vor der Stockspitze befindet. Auf ein kurzes und kräftiges Durchdrücken gefolgt vom Öffnen der Hand beim Schwungabschluss ist zu achten. Diese Technik ist sehr energie- und kraftintensiv, entlastet die Oberschenkel aber enorm. Sie funktioniert nur bei leichten Steigungen und in unverblocktem Gelände wie Forststraßen oder einfachen Wegen.
Doppelstocktechnik
Die meisten von euch werden sie schon unbewusst einsetzen: die Doppelstocktechnik. Hannes nutzt sie, wenn das Gelände steiler und unwegsamer wird. Es gibt zwei Varianten, den Parallelschwung oder den leicht versetzten Schwung beider Stöcke. Der größte Unterschied zur 1:1-Technik ist, dass der Stock vor dem Fuß senkrecht aufgesetzt wird, um ihn anschließend neben dem Oberkörper durchzudrücken. Der Kontakt der Stockspitze mit dem Boden ist deutlich länger und das Schritt-/Stockeinsatz-Verhältnis liegt eher bei 4:2 oder noch höher. Wichtig ist, dass ihr die Stöcke so einsetzt, dass der Druck in Laufrichtung und nicht nach oben wirkt, um richtigen Vortrieb zu erzeugen. Achtet auf ein sauberes und kraftvolles Durchdrücken. Die Arme sollten nicht nach außen wegklappen. Beim Gehen/Powerhiken ist diese Technik vergleichsweise einfach zu erlernen. Sie funktioniert allerdings auch beim Laufen. Dies erfordert ein wenig mehr Übung und Koordination.