Text: Michael Arend Fotos: Dan Patitucci
Unser Trainingsexperte Michael Arend weiß – als Warmblüter sind wir auf eine konstante Körpertemperatur um 37°C angewiesen. Na super. Und jetzt hat es draussen nur noch 1°C Grad. Dass da was nicht stimmt ist klar. Im folgenden geht es darum, was wir gegen dieses Ungleichgewicht tun können.
Laufen und Frieren hängt evolutionär eng zusammen. In den heißen Savannen Afrikas verlor, dass ist zumindest die gängige Lehrmeinung, der Homo erectus auch deshalb sein Fell, weil es bei ausgiebigen Wanderungen und Läufen mit Fell zu heiß geworden wäre. Das Laufen ist also daran schuld, dass wir, an der Spitze der Nahrungskette stehend, die einzige Rasse sind, die es nicht schafft, bei normalen klimatischen Bedingungen ohne Kleidung zu überleben. Was für ein evolutionärer Fortschritt. Dass laufen und frieren eng zusammenhängen, darf aber auch der moderne Mensch dann erfahren, wenn er sich mit seinen deutlich beleibteren Artgenossen im Winter vergleicht. Fett wärmt eben, und der gemeine Läufer hat davon im Allgemeinen recht wenig. Dafür hat er aber einen entscheidenden Vorteil gegenüber seinem gut gefütterten (im doppelten Sinne) Mitmenschen, nämlich seinen Metabolismus. 80% der durch den Stoffwechsel erzeugten Energie geht durch Wärme verloren, und während uns diese Ineffizienz im Sommer zu schaffen macht, hält sie uns gleichzeitig schlank und im Winter warm. Zumindest solange wir uns bewegen. So warm, dass wir auch bei kältesten Temperaturen schwitzen.
„Egal wie viele Schichten man gerade an hat, wenn es irgendwie geht, sollte man unbedingt vermeiden zu schwitzen“, rät der Veranstalter des Yukon Arctic Ultra, Robert Pollhammer, seinen Teilnehmern. Während nämlich Schweiß und Wasser der größte Freund in der Hitze sind, werden sie bei Kälte zu unseren größten Feinden. Als Warmblüter sind wir auf eine konstante Körpertemperatur von ungefähr 37 °C angewiesen und schaffen es, diese auch bei normalen Temperaturen relativ solide zu halten. Lediglich 2 °C Abweichung dagegen führen entweder schon zur Überhitzung oder zum Unterkühlen. Dadurch, dass diese Thermoregulation so wichtig zum Überleben ist, hat unser Körper sehr wirksame Mechanismen entwickelt, um diese Temperatur zu erhalten. Ist es zu warm, stellt er die Adern weit und pumpt zum Kühlen das warme Blut in die Peripherie. Bei Kälte handelt er genau gegenteilig, er hält das warme Blut in der Körpermitte, um es nicht unnötig abzukühlen. So konsequent, dass er bereit ist, Körperteile zu opfern, solange der Körperkern weiter stabil warm bleibt. Diese Zentralisation hat für uns Läufer zwar im Ernstfall eine lebenserhaltene Funktion, führt aber nicht nur zu kalten Füßen und Händen, sondern auch zu geringerer Koordination, Stabilisation und damit zu verminderter Effizienz und höherem Verletzungsrisiko.
Kälteschutz ist also nicht allein eine Frage des Komforts oder – im Ernstfall, des Überlebens -, sondern auch eine Frage des Verletzungsrisikos und der Leistungsfähigkeit. Die Sensibilität unseres Tastsinnes ist bei 20 °C Hauttemperatur etwa halbiert, die Nervenleitungen um ca. 15 ms verlangsamt. Während das Warmhalten von Nase, Ohren und Fingern also lokalen Erfrierungen und das Warmhalten des Körperkerns Unterkühlungen vorbeugt, sollten die Füße vor allem aus Koordinationsgründen warmgehalten werden, und die Beinmuskeln, um typische Muskelverletzungen zu vermeiden. Diese Muskelverletzungen folgen aufgrund erhöhter Viskosität des Gewebes, es wird also weniger dehnbar und zäher. Gerade bei exzentrischer Muskelbelastung, also Belastung bei gleichzeitiger Dehnung, wie beim typischen Downhill, kommt zu einer deutlich erhöhten Gefahr von Muskelfaserrissen etc. Neben passender Kleidung hilft hier – wenn auch nicht endgültig wissenschaftlich belegt, so zumindest wahrscheinlich – ausreichendes Warmlaufen. Den Lauf mit einem krachenden Downhill zu beginnen, ist besonders im Winter nicht gesundheitsförderlich.
Wie anziehen im Winter?
Für die 60-Minuten-Parkrunde gilt weiterhin die Faustformel: Wer vor dem Loslaufen leicht fröstelt, ist perfekt angezogen. Starre Vorschläge, wann eine Mütze, wann ein Longsleeve oder wann lange Tights angezogen werden sollten, sind nicht nur aufgrund der Individualität Quatsch. Geht es im Winter ins Gelände, ist deutlich mehr Überlegung und Vorsicht wünschenswert. Alles, was in Wettkämpfen bei schönstem Sommerwetter als unnötige Pflichtausrüstung stört, kann im Winter Leben retten. Nicht das Gelände an sich ist dabei die Gefahr, sondern die Notwendigkeit, unter Umständen stundenlang auf Rettung warten zu müssen – und das in nasser durchgeschwitzter Kleidung. Daher folgende Tipps, sobald es ins Gelände geht:
Kleidung
Für die Laufkleidung gilt zunächst einmal der angesprochene Grundsatz, dass man trocken, ohne Bewegung, leicht frösteln sollte. Als Reserve sollte zusätzlich ein trockenes, verpacktes Shirt dabei sein und eine winddichte Schicht. Das Ersatzshirt sollte unter allen Umständen trocken gehalten werden. Auf einer Hütte oder bei einer Pause kann es angezogen werden. Geht es weiter, muss, so unangenehm es ist, das trockene Shirt zurück in den Rucksack und das nasse an den Körper. Windundurchlässigkeit ist eine der essenziellen Anforderungen an die äußerste Schicht. Während bei Schneefall eine Windjacke in der Lage ist, den Schnee abzuhalten, ist es der Wind, der die Wärmepolster der Haut zerstört und somit die gefühlte Temperatur deutlich absinken lässt (Windchill-Effekt).
Dadurch, dass der Oberkörper deutlich empfindlicher ist, neigen wir dazu ihn zu warm, die Beine dagegen zu kalt anzuziehen. Um Verletzungsgefahren vorzubeugen, lohnen sich gefütterte Überhosen, die zumindest die Oberschenkel warmhalten, und Windstopper Tights. Zu Beginn des Laufs: lieber die Beine zu warm anziehen und den Oberkörper etwas zu kühl als anders herum. Ein weiterer Grundsatz ist, dass im Winter die Kleidung etwas weiter gewählt werden sollte. So kann auch eine dickere Schicht drunter angezogen werden, ohne dass die Blutzirkulation abgeschnürt wird. Für lange Läufe spielt auch das Material eine entscheidende Rolle. Weder synthetische noch natürliche Materialien sind per se überlegen. Auf der Seite der natürlichen Materialien hat sich in den letzten Jahren die Merinowolle als unterste Schicht bewährt. Sie schafft es, ein Drittel des Eigengewichts an Wasser aufzunehmen und fühlt sich dabei noch trocken an. Trocken enthalten die Fasern bis zu 85% isolierende Luft. Zwar fallen die Fasern nass zusammen, aber geben dabei durch eine Exothermo-Reaktion mit Wasser sogar leicht Wärme ab, weswegen die Fasern auch möglichst auf der Haut getragen werden sollten. Ist es richtig kalt, also deutlich unter 0 °C, bietet sich als isolierende Schicht dagegen eher eine synthetische Füllung wie Primaloft an, da die PET-Fasern auch bei Nässe noch ihre Struktur halten und nicht wie etwa Daunen ihre Wärmekraft fast komplett verlieren. Während häufig das Zwiebelprinzip, also das Tragen möglichst vieler Schichten empfohlen wird, ist dies fürs Trailrunning nicht die beste Lösung. Mehr als drei Schichten – bestehend aus Baselayer (z. B. Merinoshirt), isolierender Zusatzschicht und wahlweise Primaloft oder Goretex Jacke, je nach Temperatur und Feuchtigkeit – würden die Beweglichkeit zu sehr einschränken.
Handschuhe und Mütze
Kopf und Hände sind bei jedem sehr unterschiedlich empfindlich. Beide stellen aber, egal wie empfindlich, einen wichtigen Teil des Wärmeerhalts dar. Während der Kopf die Wärmeempfindung stark steuert und über ihn viel Wärme verloren geht, sind es die Hände, die besonders von Erfrierungen betroffen sind. Im Ernstfall kann der Kopf durch eine Rettungsdecke und die Hände am Körper gewärmt werden, in der Bewegung sind aber Mütze oder Kapuze und Handschuhe durch nichts zu ersetzen.
Sonnenschutz
Klar spielt Sonnenschutz gerade im Schnee eine sehr große Rolle, die bei Skifahrern und vor allem Bergsteigern häufig unterschätzt wird. Wir Trailrunner haben da mal grundsätzlich den Vorteil, häufig in Wäldern unterwegs zu sein, und etwas seltener auf freien schneebedeckten Stellen und noch weniger oft im winterlichen Hochgebirge, wo die UV-Strahlung allein durch die Lage erhöht wäre. Gerade aber bei den angesprochenen Bedingungen: Bei Schnee und Sonne und evtl. Höhe kann der Sonnenschutz nicht hoch genug sein. Dann hilft auch durch die Reflektion eine Cap alleine nicht mehr aus, und eine Sonnenbrille wird Pflicht.
Rucksack
Um unnötiges Gewicht zu sparen, sind die wenigsten Rucksäcke wasser- oder schweißdicht. Im Winter muss daher die Ersatzkleidung zwingend wasserdicht verpackt (z. B. im Gefrierbeutel) mitgetragen werden. Mütze und Handschuhe sollten erreichbar verstaut werden. Das ideale Trinksystem für den Winter gibt es leider nicht, aber fast alle sind auch im Winter zu gebrauchen, wenn ein paar Tipps berücksichtigt werden. Trinkblasen brauchen unter 0 °C zwingend einen isolierten Schlauch. Nach dem Trinken kann ein Einfrieren des Ventils und des Schlauches verhindert werden, wenn das Wasser zurück in die Blase gepustet wird. Gleiches gilt für Trinkflaschen. Bei ganz großer Kälte trage ich eine Flasche im Rucksack und eine andere am Körper oder nah am Rücken im Rucksack, um ein komplettes Einfrieren zu verhindern. Da gerade bei trockenen und kalten Bedingungen enorm viel Flüssigkeit über die Atemluft verloren geht, sollte nicht weniger getrunken werden als im Sommer. Und da viele Bäche trocken oder gefroren sind und öffentliche Trinkmöglichkeiten an Brunnen oder Friedhöfen meist abgestellt sind, sollte man auch nicht weniger Wasser als im Sommer mitnehmen.
Schuhe
Gore-Tex-Schuhe, Spikes oder mittlerweile sogar Primaloft gefütterte Schuhe stellen eher eine Nische dar, nicht zu Unrecht. Im Mittelgebirge, den deutschen Hochebenen oder an den Alpen lohnen sich jedoch Spikes sicherlich zuerst. Die beweglich gelagerten Karbidspitzen sorgen für einen sicheren Lauf und beugen nicht Verletzungen wie Zerrungen durch Wegrutschen vor, sondern auch Überlastungsverletzungen, die gerade durch das sprichwörtliche „Laufen auf Eiern“ hervorgerufen werden. Pünktlich zum Februar habe ich z. B. regelmäßig Probleme mit den Adduktoren, die ständig diesem Wegrutschen entgegenwirken mussten. Hier können Spikes tatsächlich gut helfen. Gore-Tex-Schuhe sind gerade bei nasskalten Bedingungen ein großer Komfortfaktor und definitiv einen Versuch wert.