TEXT: carsten brake fotos: richard bull
SO WEIT UND
HOCH UND GUT
Unser Autor Carsten Brake hat all seine Erwartungen an die Trail-Saison 2017 in dieses eine Rennen gelegt. Und dennoch wurde das Manaslu Trail Race zu etwas viel Größerem, als er sich das je hätte vorstellen können. Dabei ging es gar nicht um Platzierungen oder Altersklassensiege. Und ums Ballern auch nur ein kleines bisschen. Es ging um unmittelbare, intensive Erfahrungen im höchsten Gebirge der Welt. Einmal Nepal. Und am liebsten nicht mehr zurück.
In den vergangenen Jahren hat sich im Trailrunning einiges geändert. So allgemein. Und vor allem für mich. Während es mir mal darum ging, Rennen um Rennen zu sammeln, startete ich irgendwann bei immer weniger Wettkämpfen. 2017 sollte es nur noch ein einziges sein. Und so bin ich im November in den Flieger gestiegen – und nach Nepal aufgebrochen. Zum ersten Mal nach Asien, zum ersten Mal die ganz hohen Berge. Und ich hatte jemanden dabei, mit dem ich Vorfreude wie Aufregung teilen durfte. Laura saß neben mir im Flugzeug.
Begegnet waren wir uns damals bei einem Revierguide im Siebengebirge. Bald folgten viele gemeinsame Kilometer auf dem Trail und später auch im Leben. Laura war es auch, deren Augen zu leuchten begannen, als ein Freund Bilder vom Manaslu Mountain Trail Race teilte. Womit ihr Teil der Rennvorbereitung mehr oder weniger abgeschlossen war. Als analytischer Mensch begann ich hingegen, früh zu planen. Ich erstellte Excel-Listen mit allen vermeintlich notwendigen Dingen, wog jeden einzelnen Gegenstand ab, von der Socke bis zur Stirnlampe. Zehn Kilogramm Renngepäck wollen nun mal wohl überlegt sein. Gut, einige Gramm mehr wären okay, wenn es sich denn um Essbares handele. Wieso ich allerdings panisch eine Jahresration Energieriegel bestellt habe, das wird mir wohl ewig schleierhaft bleiben.
In Kathmandu, am Fuße des Himalayas, tauchen wir ein in das laute, staubige, quirlige Gewühl der Stadt, besuchen je einen hinduistischen und buddhistischen Tempel und wundern uns über diese überbordende Menge Leben um uns herum. Am Abend dann laden Lizzy Hawker und Richard Ball, die Veranstalter des Manaslu Mountain Trail Race, alle Teilnehmer in eines der ältesten nepalesischen Restaurants ein. In dieser freundlichen und ganz besonderen Atmosphäre begegnen wir denjenigen zum ersten Mal, die mit uns in den kommenden zehn Tagen Freud und Leid teilen werden. Alles wird ruhiger. Und wir auch ein kleines bisschen.
Am folgenden Tag werden uns, im Anschluss an das Race Briefing, die eher zierlichen Taschen für das zu transportierende Gepäck ausgehändigt. Ist der Reißverschluss einmal zu, trifft man sich in der Hotellobby, um die Tasche abzuwiegen. Während also zwei Drittel meiner Riegel, die es doch bis nach Nepal geschafft hatten, wieder aus der Tasche wandern müssen, beobachte ich fasziniert, wie Robert aus Zürich seine Tasche kurzer Hand mit etlichen Tafeln Schweizer Schokolade füllt – wie weise von ihm.
Am nächsten Morgen dann die abenteuerliche Fahrt an den Start: Dort, wo die Sandpiste endet und es nur noch auf einem sehr schmalen Pfad in die Berge geht, steht über einem tosenden Fluss ein kleines Teehaus. Ab morgen geht es dann also los. Ob wir gemeinsam laufen sollen? Aber da sieben Etappen um den 8.156 m hohen Manaslu herum viel Laufzeit versprechen, startet jeder erst einmal in seinem Tempo durch dicht bewachsene und feuchte Urwälder, ehe es mit jedem Tag tiefer in die Bergwelt geht. Immer wieder führt der Trail durch kleine Bergdörfer, „Namaste“ ist hier das Zauberwort, welches wir uns unzählige Male mit gefalteten Händen sprechen hören. In einem der ersten dieser kleinen Dörfer fälle ich den Entschluss, die Tage lieber zusammen mit Laura erleben zu wollen. Und eines wird uns zusammen auch ganz früh klar: Der Trail geht nicht immer nur bergauf, sondern es folgen immer wieder verblockte Downhills, die zum Schreddern einladen. Und „Nepali Flat“, so wie es Richard immer sagt, ist hier nie wirklich flach! Wir machen auch hier noch viel mehr Höhenmeter als wenn wir daheim im Ruhrgebiet jeden Anstieg mitnehmen.
In den Etappenorten warten auf uns jedes Mal kleine Teehäuser. Diese sorgen – sehr einfach gehalten – für genau die Atmosphäre, die den Lauf so besonders macht. Die Schnellen warten nach ihrem Zieleinlauf meist draußen und empfangen jeden Teilnehmer herzlichst. Wir trinken zusammen Tee, und wenn die Sonne am Nachmittag hinter den Bergen verschwindet, rückt man näher zusammen und genießt die gemeinsame Zeit.
Mit jedem Tag auf den Trails dringen wir tiefer – und vor allem höher – in die geheimnisvolle Bergwelt ein. Dabei verändert sich die Vegetation nahezu unmerklich. Dort, wo vorher Wald war, dominieren nun Stein, Permafrostboden und Eis. Und Laura fragt, was mit mir los sei, ich sei so still und abwesend – aber eigentlich ist mein Kopf nur mit den unzähligen Eindrücken beschäftigt. Sicher, ich hatte Erwartungen an das Rennen. Ich hätte sie vorher nicht formulieren können. In diesen Momenten bin ich einfach nur sprachlos.
Zum Ende der dritten Etappe erreichen wir nach kräftezehrendem Anstieg einen farbenprächtigen und geheimnisvollen Ort – Hinang. In der Klosterschule werden wir warmherzig empfangen. Da es auf über 3.000 m Höhe mit dem Untergang der Sonne schlagartig bitterkalt wird, suchen wir Schutz in der kleinen Klosterküche. Hier zaubert unser Koch die von allen sehr geschätzte Nudelsuppe über dem offenen Feuer. Es qualmt, zischt und duftet nach Feuerholz.
Die fünfte Etappe krönt ein Vertical K mit Start auf 3.500 m Höhe. Mit dem Ziel auf 4.600 m befinden wir uns nur noch wenige Meter unter dem Mount Manaslu Base Camp. Heute laufe ich zügiger los, und da Lizzy Hawker oben die Zeit stoppt, kann ich auf Laura warten und wir verweilen noch eine halbe Ewigkeit mit Blick auf den sonnenbeschienenen Manaslu. Bergab macht es mir Laura gleich, verabschiedet sich und schreddert den Downhill hinunter, sodass wir uns erst im Ziel wiedersehen.
Am nächsten Morgen haben wir die Ehre, einen Lauf für die Schulkinder hier oben auszurichten. Jeder, der laufen kann, bekommt eine Startnummer – so wie wir sie haben –, und es gibt ein richtiges Rennen. Unglaublich, mit welcher Energie und Ausdauer die Kinder hier über die Trails fliegen, und da es keine Altersbegrenzung gibt, läuft Laura am Ende – an jeder Hand ein dreijähriges Kind – freudestrahlend ins Ziel.
Nach einer eher kurzen Nepali-Flat-Etappe folgt ein sogenannter Active Rest Day. Zur Höhenanpassung gibt es eine Wanderung zur chinesischen Grenze auf über 5.000 m Höhe, mit Blick über die tibetische Hochebene. Fast doppelt so lange auf den Beinen wie an den vergangenen Lauftagen, zieht uns die Wanderung ordentlich den Stecker. Wer hätte gedacht, dass Wandertage so anstrengend sein können … Wir machen uns etwas Sorgen wegen der Passüberquerung am folgenden Tag. Ach was, in der folgenden Nacht: Außer den vor uns wandernden Lichtpunkten und dem Sternenhimmel ist es stockdunkel. Ein unglaublicher Anblick, ein unglaubliches Erlebnis. Schön, dies Hand in Hand erleben zu dürfen. Besonders auch, dies mit den Menschen zu teilen, die uns in der Kürze der Zeit so vertraut geworden sind.
Am Ende dieses langen Tages erreichen wir unseren Zielort: bunte Häuschen vor Gletscherkulisse. Die Sonne gibt noch einmal alles und wärmt uns ordentlich auf. Jedenfalls so lange, bis sie wieder hinter den Bergen verschwindet. Was folgt sind noch ein Tag mit 2.060 m Downhillspaß, berauscht von der Geschwindigkeit und voller Adrenalin, und eine abenteuerliche eineinhalbtägige Heimreise nach Kathmandu. Details zur Jeep-fahrt, der Feier am Abend und vielem anderen lassen wir besser in den Bergen. Das, was aber mit nach Hause kommt, ist eine geballte Ladung an Eindrücken und auch ganz viel Wehmut. Am liebsten wären wir gleich wieder von Anfang an losgerannt.