LUCYS LEBEN

LUCYS LEBEN

Das Leben fühle sich gerade an wie große Ferien. Sagt Lucy Bartholomew. Für die 21-Jährige sind diese großen Ferien vor allem ein langer Lauf. Als Fünftplatzierte beim TDS im Rahmen des diesjährigen Ultra-Trail du Mont-Blanc war die Australierin innerhalb der Redaktion zum ersten Mal aufgefallen. Ihr souveräner Sieg beim Ultra-Trail Cape Town im Dezember war dann das endgültige Ausrufezeichen hinter einer noch jungen Karriere, die eben auch dafür steht: für die Jugend, die plötzlich so selbstverständlich Ultras rennt. Lucy Bartholomew hatte ihren ersten 100er schon mit 16 gerockt. Damals wollte sie einfach was Schönes gemeinsam mit ihrem Vater unternehmen. Ob nun aufgrund dieser Gene oder der jugendlichen Leichtigkeit: Mit Lucy Bartholomew wird auch in dieser Saison zu rechnen sein.


Lucy Bartholomew, im Dezember hast du den Ultra-Trail Cape Town mit neuem Streckenrekord von 11:21:49 Stunden gewonnen. Einfach ein perfektes Rennen oder schon eine riesengroße Überraschung für dich?

Mehr als nur eine riesige Überraschung. Ich hatte mich im Vorfeld des Rennens mehr als einmal gefragt, ob das so eine gute Idee ist, so spät im Jahr noch ein Ultra. Immerhin war das mein fünftes Rennen über 100 oder mehr Kilometer im Jahr 2017. Ich wusste nicht, ob das nochmal gut geht, physisch, aber genauso mental. Schlussendlich bin ich mit so einem Urlaubsgefühl in Kapstadt angekommen. Einfach das Rennen genießen und dann die Saison an einem wunderbaren südafrikanischen Strand abschließen, das war so ungefähr mein Plan. Aber dann war ich da – und die Atmosphäre, die Menschen haben mich unmittelbar gepackt. Plötzlich war ich doch wieder mittendrin im Race-Modus.

Magst du den Rennverlauf für unsere Leser zusammenfassen? Ich denke, da gab es viele Höhepunkte. Gab es auch Downs?

Schon die Ausgangssituation war sehr interessant. Ich bin ja noch relativ frisch im internationalen Trail-Geschehen und kannte tatsächlich noch keine der anderen Topathletinnen aus einem direkten Vergleich. Ich habe dann, ohne richtig zu wissen warum, sehr schnell begonnen und mir dann gedacht: einfach so weitermachen. Schließlich kommen die technischen Passagen ja noch früh genug. Ich war mir eigentlich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis sie mich wieder einfangen werden. Robyn Owens war dann nach 50 km tatsächlich an mir dran und hat mich für ein, zwei Kilometer überholt. Aber da habe ich dann gebissen. Ich war schon so weit gekommen, das wollte ich mir nicht mehr nehmen lassen. Was mich rückblickend am meisten gefreut hat: Die ausgesetzten, schwierigen Stücke sind sicher noch nicht meine Stärke, aber sie haben mich nicht mehr aus dem Konzept gebracht.

In deinem Blog hast du den UTCT als „die schönste und abwechslungsreichste Strecke, die ich je gelaufen bin“ bezeichnet.
Der Kurs hatte einfach alles. Er war schnell, felsig, sandig, hatte ausgesetzte Passagen, tolle Singletrails und dann wieder Asphalt, auf den ich mich als oft zwangsläufige Straßenläuferin jedes Mal wieder gefreut habe. Dann ständig diese Ausblicke, die Berge, das Meer, die Stadt. Tatsächlich habe ich noch kein Rennen erlebt, das gefühlt so schnell vorübergegangen ist. Ich lebe in Australien im ziemlichen Nirgendwo. Die nächste Stadt, das Meer, die Berge, überall hin sind es zwei bis drei Stunden. Diese Vielfalt, und zwar in jeder Dimension, die hat mich beinahe schon überfordert.

Immerhin gibt es diese Gemeinsamkeit: Sowohl in Australien als auch Südafrika ist gerade Sommer.
Aber das war kein Vorteil für mich, weil ich genauso am Ende einer langen Saison angekommen war. Ich war ja das ganze Jahr unterwegs, in den USA, den Alpen, ich war dort etwa beim TDS in Chamonix am Start. Eine Gemeinsamkeit zwischen Australien und Südafrika gibt es aber: das ähnliche, fast immer sommerliche Klima. Ich kann quasi rund ums Jahr rennen – was gut, aber auch schlecht sein kann.

Nächstes Jahr solltest du im Juni topfit sein. Du startest beim Western States 100. War das wirklich so eine große Überraschung wie uns dein kurzes Facebook-Filmchen glauben lässt?
Oh ja. Ich bekomme noch immer Gänsehaut, wenn ich daran denke. Es ist ja ein Losverfahren und ich habe nicht im Traum dran gedacht, dass das gerade bei so einem legendären Rennen beim ersten Mal klappt.

Ohnehin hattest du es erst verspätet mitbekommen. Du warst drei Tage im Outback laufen, ohne Telefon, ohne WIFI. Machst du so etwas öfter, einfach mal hinausfallen aus der Welt?
Ach, das klang jetzt nach mehr Abenteuer als es eigentlich war. Ich war mit einer Freundin in einem Retreat und ja, eigentlich wollten wir vor allem laufen. Aber nach der langen Saison blieb es bei Yoga, gutem Essen und einfach entspannter freier Zeit. Tatsächlich war ich aber seit einer Ewigkeit nicht mehr so lange offline. Das ist ja auch zu einem Teil unseres Sports geworden, die Präsenz in den Sozialien Medien gehört längst dazu.

Was vor allem immer selbstverständlicher zum Trailrunning gehört: die Ultra-Distanzen. Warum gehst du so früh schon so weit?
Ich bin meinen ersten Hunderter mit 16 Jahren gelaufen. Mein Vater war ein Ultra-Läufer und ich fand es einfach eine gute Idee, dieses Erlebnis, diese Leidenschaft einmal mit ihm zu teilen. Ich hatte echt keine Ahnung, wie sehr das mein Leben verändert würde (lacht). Aber was das Laufen angeht: Ich mag einfach das Laufen. Gib mir eine 5-km-Runde im Park und ich bin ebenfalls selig. Was die Ultradistanzen aber definitiv auszeichnet ist eine mentale Komponente. Manchmal frage ich mich selbst, wieso ich mich darauf schon so jung so gut einlassen konnte.

Tatsächlich kann man momentan feststellen, dass die Topathleten auch auf den Ultra-Distanzen immer jünger werden. Fühlst du dich als Teil einer solchen Bewegung?
Durchaus. Wobei ich mich schon auch freue, mich an Athletinnen zu messen, die doppelt so alt sind wie ich. Ist doch ein cooles Gefühl, wenn ich diesen Sport vielleicht so lange machen könnte. Andererseits ist es mir aber schon auch wichtig, Jugendlichen zu zeigen, dass es da noch mehr als das Rennen auf der Bahn und den Marathon gibt. Trails sind gerade für Teenagerinnen ohnehin eine tolle Sache, weil es sportlich zur Sache geht, aber nicht ausschließlich verbissen und leistungsorientiert. Sowas sollten die Schulen anbieten.

Wünschst du dir mehr junge Frauen auf den Trails?
Absolut. Aber da ist etwas in Bewegung geraten. Beim Ul-tra Trail Australia sind im vergangenen Jahr auf der 22-km-Distanz zum ersten Mal mehr Frauen als Männer gestartet. Es ist so cool, da all die Mädels zu sehen, die sich gegenseitig versichern: Hey, das kannst du auch.

Aus deiner Erfahrung als junge Frau auf den Trail gesprochen: Muss sich unser Sport verändern, um attraktiver und offener für Mädchen und Frauen zu sein?
Ich denke und hoffe, dass das quasi organisch passiert. Wenn es erst einmal ein paar Frauen gibt, die regelmäßig gemeinsam laufen, schafft das automatisch eine Atmosphäre, in der sich andere Frauen wieder verstanden und sicher aufgehoben fühlen und wo die Leistung, der Leistungsgedanke, vielleicht nicht gleich an erster Stelle steht. Ich denke aber schon auch, das gerade junge Mädchen eher Frauen als sichtbare Vorbilder brauchen.

Würdest du dich momentan als eine professionelle Trailrunnerin bezeichnen?
Das werde ich gerade recht regelmäßig gefragt und ehrlich: Ich kann es nicht beantworten. Für mich fühlt es sich noch immer an wie die großen Ferien nach der Highschool. Nur dass es jetzt eben schon das dritte Jahr große Ferien sind. Mein Sport erlaubt mir momentan, das Leben zu führen, dass ich am liebsten führen möchte, auch wenn das noch nicht unbedingt ein Plan für das ganze Leben und für die Altersvorsorge ist.

Glaubst du, dass sich das Trailrunning in den kommenden Jahren professionalisieren wird und es im Zuge dessen für mehr Athleten möglich sein wird, von diesem Sport wirklich zu leben?
Ja, langsam kommt wohl etwas mehr Geld in unseren Sport. Wobei es ja in erster Linie persönliche Sponsoren sind, die Athleten ermöglichen, Trailrunning intensiver und auch strukturierter zu betreiben. Ich beobachte – oder erfahre im Gespräch mit älteren Athleten – eine gewisse Professionalisierung. Und ich frage mich gleichzeitig: Will ich das überhaupt? Besteht nicht die Gefahr, das Trailrunning dieses Raue, Wilde und Entdeckungshungrige verliert, wofür ich diesen Sport so sehr liebe? Für mich ist Trailrunning eine Passion und keine Profession – sonst hätte ich mich auch ganz klassisch in der Leichtathletik versuchen können. Wäre aber vermutlich nichts geworden (lacht).

Kannst du mit dem Begriff des Lifestyle in diesem Zusammenhang etwas anfangen?
Selbst wenn ich keine Sponsoren hätte, die mir ermöglichen, rund um den Erdball bei aufregenden Rennen zu starten, ich würde wohl noch jeden Tag durch die Landschaft rennen. Einfach weil ich das Gefühl habe, genau dabei am meisten bei mir selbst zu sein. Diese Zeit, alleine auf den Trails, ist so unglaublich kostbar. Und, ja, so gesehen ist Trailrunning schon auch ein Lifestyle. Aber vielleicht würde ich lieber sagen: eine Einstellung zum Leben.

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Lucy Bartholomew wurde 1996 im Hinterland der australischen Südküste geboren. Sie lebt in Diamond Creek nördlich von Melbourne, ist seit ihrem Highschool-Abschluss vor drei Jahren aber – vor allem laufend – in der Weltgeschichte unterwegs. Bereits als 16-Jährige hatte sie ihren Vater bei einem 100-km-Rennen begleitet. Seitdem sind die Ultradistanzen die Leidenschaft der Salomon-Athletin. 2017 wurde zum bisher erfolgreichsten Jahr ihrer noch jungen Karriere; neben Siegen beim Ultra-Trail Australia und Ultra-Trail Cape Town errang sie noch einen zweiten Platz beim Marathon du Mont-Blanc.

www.lucybartholomew.info