Von Dr. Annika Roecker
Corona trifft nur die Alten und Kranken? Nein, auch junge und gesunde
Menschen können schwer erkranken. Manche tragen an ihrer Lunge dauerhafte Schäden davon. Was steckt dahinter? Und was kann man dagegen tun? Zunächst einmal nichts. Außer: laufen gehen, solange man gesund ist.
Laut den Zahlen des Robert-Koch-Instituts sind mehr als 80 Prozent der Menschen, die in Deutschland infolge einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 starben, 70 Jahre und älter. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken. Das heißt aber nicht, dass das Virus für junge und gesunde Menschen völlig harmlos ist. Auch Leistungssportler kann es treffen. Manche haben sogar nach eher milden Verläufen mit Folgeschäden zu kämpfen.
Immer wieder hört man von solchen Fällen: Die 26-jährige Triathletin Annika Söllinger lief Anfang März 10 bis 15 km pro Tag. Nach überstandener Coronavirus-Infektion schafft sie es kaum noch, länger als 3 km zu laufen. „Treppensteigen ist für mich durch Atemnot und Herzrasen der Horror“, schreibt die junge Frau auf Twitter. Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es Menschen – darunter Trailrunner – die mit den Folgen einer Coronainfektion zu kämpfen haben – sowohl körperlich als auch psychisch.
Viele Menschen haben keine oder nur leichte Symptome
Das Virus ist heimtückisch. Nach wie vor wissen Forscher und Ärzte noch nicht alles darüber. Die Krankheit (Covid-19), die es auslöst, greift nicht nur die Lunge an, sondern auch Herz, Gehirn und Blutgefäße. Ob das Virus selbst die Schäden verursacht oder ob sie durch eine Überreaktion unseres Immunsystems ausgelöst werden, ist noch nicht ganz klar. Wahrscheinlich ist es eine Kombination aus beidem.
Fakt ist: Wer schwer erkrankt braucht lange, um sich davon zu erholen. Viele Patienten brauchen eine Reha. Zum Glück verlaufen vier von fünf Covid-19-Fällen mild bis moderat, wie aus den Zahlen des Robert-Koch-Instituts hervorgeht. Beschwerden wie Husten, Schnupfen oder Fieber sind übrigens keine Mitbringsel des Virus, sondern ein Versuch unseres Körpers, das Virus loszuwerden. Wahrscheinlich reagiert unser Immunsystem auch, wenn wir keine Symptome haben – wir merken es nur nicht. Falls vorhanden klingen die Symptome in den meisten Fällen wieder ab und das Gewebe heilt folgenlos aus.
Leider ist das nicht immer so. Annika Söllinger berichtete gegenüber dem „Tagesspiegel“, die Krankheit sei bei ihr recht mild verlaufen. Sie habe Kopfschmerzen, etwas Husten und zwischendurch Atemnot gehabt. Kurzzeitig habe sie den Geschmackssinn verloren. Es sei aber nie so ernst gewesen, dass sie in Erwägung gezogen hätte einen Krankenwagen zu rufen.
Man könne durchaus auch von milden oder nahezu unbemerkten Verläufen Schäden zurückbehalten, sagt Prof. Dr. Wilhelm Bloch von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Bevor er sich vor 15 Jahren der Sportmedizin zuwandte, hatte er sich auf die Bereiche Anatomie und Zellbiologie konzentriert. Immer, wenn es sein Zeitplan zulässt, setzt sich der Leiter der Abteilung für Molekulare und Zelluläre Sportmedizin ans Elektronenmikroskop. Damit schaut er sich ganz genau an, welche Spuren das Virus in der Lunge von Covid-19-Patienten hinterlässt.
Was geht in der Lunge vor?
„Das Virus ist wie ein Soldat, der durch ein feindliches Gebiet zieht“, sagte mir ein Internist, der hier nicht namentlich erwähnt werden will. Er hat schon viele Covid-19-Patienten untersucht. Der Soldat – alias das Virus – wird von allen Seiten bombardiert, kann aber entkommen. „In der Lunge bleibt eine Kraterlandschaft zurück“, beschreibt der Arzt. Um den Krankheitserreger zu bekämpfen, schütten unsere Lungenzellen Botenstoffe aus, die bestimmte Immunzellen anlocken – manchmal auch dann noch, wenn die Infektion bereits überstanden ist. In der Folge kann sich Flüssigkeit in der Lunge einlagern und es kann zur Vernarbung von gesundem Gewebe kommen. Fachleute bezeichnen das als Fibrose oder Fibrosierung.
Schaut man sich eine solche Lunge in einer Computertomografie (CT) an, erkennt man helle Flecke: „Milchglasbilder“ sagen Experten wie Sportmediziner Bloch dazu. Sie sind ein Hinweis darauf, dass hier etwas nicht stimmt. „Der Gasaustausch funktioniert an diesen Stellen nicht mehr richtig“, erklärt er. Die feinen Membranen der Lungenbläschen, über die Kohlendioxid aufgenommen und Sauerstoff ins Blut abgegeben wird, sind nur einige Milliardstel Meter dünn. Lagert sich hier zusätzliches Gewebe an, vergrößert sich der Abstand: Die Gase müssen eine dickere Gewebeschicht passieren. Schreitet die Fibrosierung voran, sind immer mehr Bereiche der Lunge betroffen.
Geht das auch wieder weg? „Das ist der kritische Punkt. Anders als Flüssigkeit wird man zusätzliches Gewebe nicht so schnell wieder los“, sagt Bloch. Wie dauerhaft die Schädigungen sind, können Ärzte momentan noch nicht abschätzen. Zwar gibt es Medikamente, die den Vernarbungsprozess stoppen oder zumindest verlangsamen. Bereits vorhandenes Gewebe können sie aber nicht abbauen.
Nach eigenen Angaben geht es Covid-19-Patienten oft ganz gut. Gegen Ende der Quarantäne seien ihre Symptome verschwunden gewesen, berichtet Annika Söllinger den Medien. Doch als sie sich wieder mehr bewegt, ist die Atemnot zurück. „Das ist gerade das Tückische dabei. Im Ruhezustand merken Sie nichts davon. Ein paar Prozent weniger Sauerstoff im Blut machen nichts aus“, erklärt Bloch. Unter Belastung können sich die Veränderungen jedoch bemerkbar machen. So sei es auch zu erklären, dass es den Patienten oft schlagartig schlechter geht. „Es kann sein, dass sie noch zu Fuß in die Notaufnahme kommen. Eine Stunde später müssen sie dann beatmet werden“, so der Mediziner.
„Wer laufen geht, trainiert nicht nur seine Muskeln, sondern auch seine Gefäße und sein Immunsystem.“ (Prof. Dr. Wilhelm Bloch, Deutsche Sporthochschule Köln)
Die junge Triathletin geht zum Arzt und lässt sich röntgen – doch ihre Lunge ist unauffällig. „Das kann man auf einem normalen Röntgenbild nicht sehen“, sagt Bloch. Selbst ein CT würde vermutlich nichts ergeben. „Wenn man schon Milchglasbilder erkennen kann, geht es wirklich ans Eingemachte“, erklärt Bloch.
„Als ich den Artikel gelesen habe, dachte ich: Das passt genau“, erzählt Bloch. Nach dem, was Annika Söllinger beschreibe, liege bei ihr vermutlich noch keine sichtbare Fibrose vor. Um die winzigen Veränderungen im Gewebe zu erkennen, bräuchte es vermutlich spezielle, hochauflösende Verfahren. Zudem müsse man bei solchen Patienten auch die Funktion der Lunge untersuchen, etwa die Diffusionskapazität und die Sauerstoffsättigung im Blut, sagt Bloch. (Die Diffusionskapazität gibt an, wie viel Sauerstoff die Lunge aus der Luft aufnehmen und ins Blut abgeben kann. )
Wie häufig diese Problematik bei Menschen mit milden oder gar asymptomatischen Covid-19-Verläufen auftritt, ist schwer zu sagen. Denn es gibt noch keine Studien dazu. „Aus derzeitiger Sicht kann ich nur sagen, dass bei schweren Verläufen fast immer ein fibrotischer Anteil dabei ist“, so Bloch. Gemeinsam mit anderen Sportmedizinern aus ganz Deutschland plant er derzeit Studien, die herausfinden sollen, ob eine überstandene Coronavirus-Infektion die Leistungsfähigkeit von Sportlern langfristig beeinflusst.
Der Mediziner und Taucharzt Dr. Frank Hartig von der Notfallaufnahme in Innsbruck (s. Interview auf S. 66) ist Ende April zu schockierenden Ergebnissen gekommen: Von sechs Tauchsportlern, mit denen er funktionale Lungentests durchgeführt hat, kann – vorerst – keiner seinen Sport mehr ausüben. Und das, obwohl sie ihre Covid-19-Infektion zu Hause ausgestanden hatten, also wohl eher mild erkrankt waren. Einige Wochen danach waren sie – äußerlich gesund – zur Kontrolle erschienen. „Das ist schockierend, wir verstehen nicht, was hier gerade passiert. Sie bleiben wahrscheinlich lebenslang Patienten. Als Notfallmediziner mit 20 Jahren Erfahrung schluckt man, wenn man bei einem 40-jährigen Patienten so etwas sieht“, erzählte der Mediziner der österreichischen Nachrichtenagentur APA.
Laufen (und abnehmen) kann helfen, schützt aber nicht zu 100 Prozent
Sind Sportler, zum Beispiel Läufer, nicht eigentlich besser dran? Unsere Lunge hat doch schließlich eine höhere Kapazität. Das stimmt leider nur bedingt. Zwar kann man sein Lungenvolumen durch gezieltes Training vergrößern. Dann gelangt pro Atemzug mehr Sauerstoff ins Blut. Dabei wird aber nicht das Organ größer. Wir trainieren lediglich die Muskulatur in unserem Brustkorb, die unsere Lunge umgibt. Dadurch können wir effizienter atmen.
„Das Virus ist wie ein Soldat, der durch feindliches Gebiet zieht. (…) In der Lunge bleibt eine Kraterlandschaft zurück.“ (Internist, anonym)
Sport wirkt sich in gewisser Weise sicherlich positiv auf den Verlauf von Covid-19 aus. Bedeutender sind aber offenbar Faktoren wie Alter, Vorerkrankungen und Übergewicht. Speck an Brust oder Bauch verhindert, dass sich die Muskeln dynamisch bewegen können. Außerdem werden durch ein hohes Körpergewicht bestimmte Bereiche der Lunge ‚abgeklemmt’, also nicht mehr gut mit Blut versorgt. Sie können folglich weniger Sauerstoff an den Körper abgeben. Zu einem gewissen Teil ist das normal – zum Beispiel, wenn man auf dem Rücken liegt. Um noch unbeschadete Lungenareale auszumachen, werden schwer erkrankte Covid-19 Patienten darum übrigens häufig auf den Bauch gedreht. Drückt das eigene Körpergewicht zu stark auf die Lunge, stehen dauerhaft weniger Bereiche zum Sauerstoffaustausch zur Verfügung.
Zudem fördert überschüssiges Fett Entzündungsprozesse – also Reaktionen unseres Immunsystems -, die ja einen wesentlichen Teil zur Covid-19-Problematik beitragen. Und dass Abnehmen und regelmäßiger Sport vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen (einem weiteren Risikofaktor) schützt, ist ja ohnehin bekannt. Also Gründe genug, um die Laufschuhe zu schnüren – auch wenn vorerst die meisten Läufe, auf die man hingefiebert hat, abgesagt wurden.
Man solle auf jeden Fall sein Fitnesslevel beibehalten oder es sogar steigern, rät Bloch. Denn: „Wer laufen geht, trainiert nicht nur seine Muskeln, sondern auch seine Gefäße und sein Immunsystem.“ Moment mal – ist es nicht eher schlecht, wenn das Immunsystem aktiviert wird? Nein. Das Training setzt kurze Reize, die unser Abwehrsystem trainieren. Tritt der Ernstfall – etwa eine Sars-CoV-2-Infektion – ein, so reagiert es nicht sofort über, sondern angemessener. Der Sport fungiert also gewissermaßen als Bremse für das Immunsystem. So lassen sich im Blut von Sportlern oft geringere Entzündungswerte nachweisen. Leider ist aber auch das keine Garantie dafür, nicht oder nur leicht an Covid-19 zu erkranken. Das zeigen Berichte über Menschen wie Annika Söllinger.
Wer bereits Symptome hat, dem rät Bloch für mindestens zwei, besser vier Wochen mit dem Sport zu pausieren und sich auf das Virus testen zu lassen. Danach solle man langsam wieder einsteigen. Nach einem schweren Verlauf, der mit einer Schädigung des Herzmuskels einhergeht, seien drei bis sechs Monate Pause angesagt. Bei solchen Patienten sei es leider oft „mehr als fraglich“, ob sie überhaupt wieder richtig fit würden.
„Das ist keine einfache Grippe. Das Virus kann verschiedene Systeme des Körpers angreifen, zum Beispiel auch Thrombosen verursachen“, warnt er. Er mache sich große Sorgen darüber, „was wir in Zukunft sehen werden“. Von den momentan laufenden Studien verspricht sich der Sportmediziner, „dass wir bis in einem halben oder einem Jahr schlauer darüber sind, wie viel Prozent der Covid-19-Erkrankten Schäden zurückbehalten“.
Interview mit Dr. Frank Hartig,
Taucharzt und Leiter der Notfallaufnahme am Innsbrucker Uni-Klinikum
Haben trainierte Läufer, oder Sportler allgemein, ein geringeres Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken?
Dr. Frank Hartig: Das kann man meines Wissens so nicht sagen. Im Allgemeinen dürfte moderater Ausdauersport aber dazu führen, weniger anfällig für Infekte zu sein. Covid-19 ist nun aber eine ganz andere Liga, worüber noch niemand richtig viel weiß.
Können also auch sportliche und gesunde Menschen durch Covid-19 schwere Schäden an der Lunge erleiden?
Leider ja. Was genau die Risikofaktoren für einen schwereren Verlauf sind, wird derzeit intensiv untersucht. Die Erfahrungen bis jetzt zeigen, dass es sportliche, junge und gesunde Patienten genauso treffen kann.
Wie bemerkt man das – wann sollte man also unbedingt mit dem Training aufhören und zum Arzt gehen?
Ein Leistungsknick, Atemnot, häufiger Harndrang in der Nacht oder ein hartnäckiger Reizhusten sollten einen zum Arzt führen.
Welche Schäden haben Sie bei den erkrankten Tauchern beobachtet? Könnten diese Schäden dauerhaft sein?
Wir haben lediglich Veränderungen an der Lunge untersucht. Im Einzelfall können die Schäden vermutlich von Dauer sein, beim größeren Teil werden sie hingegen ausheilen.