DER TAG DAVOR
Tag X. Kommt näher. Ein letztes mal schlafen. Was darf ich? Was besser nicht? Bin viel zu nervös zum pennen. Hab ich überhaupt genug trainiert? Über die Stunden im Leben an denen man nicht viel tut, aber man sich ewig daran erinnert.
Ich liege im Bett. Es ist 19.45. Die Pastaparty ist vorüber. Das Streckenbriefing auch. Ich sollte jetzt pennen. Geht aber nicht.
Ich penne nie um 19.45 Uhr. Das letzte mal vor 35 Jahren.
Überhaupt: Das Bett ist viel zu kurz, steht dafür aber in einer Pension, die nur 1500 Meter von Start und Ziel entfernt ist. Die Gastgeberin hat mir relativ grummelig zugesichert, dass ich um 3.15 Uhr eine abgespeckte Version des normalen Frühstücks bekommen könnte. Dabei hat sie durchklingen lassen, dass sie es recht komisch findet, dass ich so früh am Tag zum Joggen gehen will.
Dieser Tag, der Abend vor dem Ultra ist immer ganz besonders. Es ist die Anspannung, die Ungewissheit, ob auch wirklich alles passt. Und die Hoffnung, nein das Wis-sen, dass es doch eigentlich einfach nur losgehen muss, weil man so komplett auf diese eine Sache fokussiert ist.
Es ist 21.15. Ich bin wach. Ich glaube, ich schlief einmal ganz kurz. Für 10 Minuten. Ich knipse das Licht an und hole aus meiner Reisetasche ein Energygel. Ich stecke es in den Laufrucksack und fühle mich sicherer. Es sind jetzt statt sechs Gels sieben an Bord. Am nächsten Morgen werde ich übrigens drei Gels entfernen, weil ich dann wieder der Meinung bin, dass mir das Essen an den Verpflegungsstationen doch ausreichen wird.
Auf der Pastaparty traf ich eine ganze Menge Leute, die alle dasselbe erlebt haben: Fast alle waren kurz vor dem Lauf erkältet, hatten Grippe, eine Knieentzündung und waren beruflich so eingespannt, dass sie nie mehr als 50- 60 Kilometer in der Woche gemacht haben. Rund die Hälfte aller „Kolleginnen und Kollegen“ hatten zudem ihre Laufklamotten schon an und ich traute mich nicht zu fragen, ob sie die an- lassen und so schlafen gehen. Die machen mich nervös. Das ist immer so. Mich machen die anderen mit ihren Eigenheiten, Macken und seltsamen Angewohnheiten nervös. Ich entdecke ständig etwas an ihnen, was mich zum Nachdenken bringt.
„Wie du hast keine Stirnlampe mit Rotlicht ? Dann darfst nicht starten. Ist Pflicht.“
Es ist 1.22 Uhr. Ich drehe mich von links nach rechts. Mein Handy brummt. Ein guter Freund schickt eine WhatsApp. Er wünscht mir alles Gute. Ich wäre ein wilder Hund und würde das schaffen. Er wäre im Taxi und fährt von einer Party nach Hause. Keine Pastaparty. Schon klar.
Ich hatte das Zimmer bezogen und auf dem zu kur- zen Bett all meine Ausrüstung ausgebreitet. Ich war hochkonzentriert und legte alle Ausrüstung aus um, am Ende vor einer Art Opferaltar zu stehen.
In dieser Nacht schlief ich nicht. Nicht wirklich und wenn dann viel zu kurz.
Denis Wischniewski