von Denis Wischniewski
DER APFEL
Einst hat er mir das Leben gerettet. Heute ist er das letzte Obst, das mir bleibt.
Und überhaupt kann er richtig viel: Mus, Kuchen, Müsli, Auflauf.
Auf den Apfel lass ich nichts kommen.
Er war damals der Letzte, der auf mich
wartete, mich rettete – und das vergessen
ich ihm nie-, nie-, niemals.
Ich, junge 15 Jahre alt, mitten in
der Pubertät und auf dem Querfeldein-
Rennrad unterwegs. Dann plötzlich:
Hungerast. Für euch: der Hungerleider,
also Unterzucker. Ganz massiv.
Im Wald, auf dem Feld kein Kiosk,
kein Supermarkt, keine Tanke. Natürlich
nicht. Wieso auch. Aber ein Bäumchen.
Ein schwäbisches Apfelbäumchen.
Und ein Apfel. Einer. Im Januar.
Einer, der aus irgendwelchen Gründen
einfach hängen geblieben war. Kein
schöner Apfel, aber annehmbar. Ich
riss ihn vom Zweiglein, biss hinein sog
den Saft zwischen der Zahnspange
durch in mich auf, sank auf die Wiese
und nagte ihn bis auf den Stiel ab. Er
gab mir Kraft, Energie und schob mich
die letzten 5 km bis nach Hause. Dort
hatte die Mama gebacken. Ich zog die
Radlschuhe aus, kroch auf allen vieren
ins Esszimmer und freute mich
über das beste Stück Apfelkuchen mit
Schlagsahne, das ich jemals vernichtet
hatte.
Das war meine erste echte Apfelgeschichte.
Ich blieb ihm bis heute irgendwie
sehr treu. Wenn ich durch die
Obst- und Gemüseabteilung im Edeka
schlurfe, kann mich neben der Kartoffel
und dem saisonalen Rosenkohl nur
der Apfel zum Stoppen bringen. Der
Rote Boskop – herrlich sauer. Der Braeburn
– ein Klassiker. Geht immer.
Genau 30 Jahre später ist mir dann als
Läufer nochmal so eine Apfelstory passiert.
Genau dort, wo der Apfel hingehört.
Südtirol, irgendwo in den Hochlagen
über Meran. Wir rennen an Tag
4 unseres Lesercamps und ich traue
mich als Guide natürlich nicht, bei den
Teilnehmern um einen Energieriegel
betteln. Die sollen nicht merken, dass
ihr Guide am Ende ist und vollkommen
Kalorien-entleert. Mit schlechtem
Gewissen pflücke ich den sü.esten
aller Äpfel und verstecke ihn, damit
ihn die Erntehelfer nicht sehen. Später
steht da eine Kasse mit dem Schild „50
Cent statt klauen“ … ich bin beruhigt.
Auch dieser Apfel – natürlich viel vollkommener
im Geschmack und besser
in Form als der vor drei Jahrzehnten –
rettet mich. Ich laufe die letzten 3 km
mit voller Power, mit den 30 Vitaminen
des Elstar und gönne mir im Ziel im
ersten Eiscafé einen …. Krokantbecher.