Denis´Kolumne aus Trail 1/20

Wo wir laufen.
Für einen Trailrunner ist es durchaus anders. Er, sie, es ist ja auch anders.

Anders als für einen Läufer. Für einen Jogger. Es geht ihm nicht nur darum, dass er läuft, sondern wo er das tut. Und hier kommt das Problem.
Der Trailrunner fällt sozusagen in die Skialpin-Falle. Er wird zum Touristen, zum CO2-Sünder. Er setzt sich ins Auto und fährt für einen Berglauf mal locker 150 km in die Alpen oder in ein Mittelgebirge – eben dorthin, wo ihn die Sehnsucht hinzieht, wo er glaubt, er könne seinen Sport perfekt zelebrieren, dorthin, wo die besten Fotos für den Insta-Post am Abend herauskommen.
Trailrunning ist heute also auch eine Frage des Gewissens. Auch unsere Teilnahmen an Wettkämpfen unterliegen der Abwägung Muss das sein? Muss ich nach Chile fliegen für einen – ganz ohne Zweifel einmaligen – Vulkan-Ultratrail? Wir müssen umdenken, uns neu sortieren. Vielleicht nicht so radikal wie es manche gerne hätten, aber ganz sicher mit Konsequenz.
Ich setze mich also nun öfter mal in die Bayerische Oberlandbahn, um raus in die Hausberge zu fahren. Hab ich früher nicht mal dran gedacht. Wäre mir nie in den Sinn gekommen. Ich brauch mit dem Zug etwas länger, ich komme auch nicht an all die Strecken, die ich gerne laufen würde, aber es ist enorm entspannt. Ich sitze in der BOB, schaue aus dem Fenster, muss nicht lenken, nicht denken, mich nicht über vollgefressene, sattgewordene SUV-Fahrer aufregen, denen jedes Benehmen abhanden gekommen ist. Ich steige am Schliersee aus der BOB und renne direkt in den Berg hinein.

Es stimmt schon, wie es meine Frau sagt: „Du kannst doch nicht ein Läufer sein, ein Berg- und Naturfreund und ständig mit dem Diesel da rumfahren!“ Sie hat wohl recht. Ich verteidige mein Auto wo es nur geht. Ich liebe es noch immer. Fast so sehr wie meine Laufschuhe. Im Übrigen: Mein Van und meine Trailschuhe haben aktuell die selbe Bereifung. Eine Gummimischung von Continental, und doch sind Laufschuhe und Autoreifen komplett unterschiedlich. Dabei komme ich zum Schluss, dass Trailrunning und Autofahren unfassbar wenig miteinander gemein haben. Wer mit einem Auto an den Wald fährt um dort laufen zu gehen – das ist ungefähr wie Greenpeace-Mitglied sein und AfD wählen. Es passt eben nicht zusammen.

Alle gegen alle. Wenn ich in meinem Van sitze und dem Radfahrer beim Abbiegen versehentlich die Vorfahrt nehme, brüllt der mich an: „Du Arsch. Du Umweltsau. Pass doch auf, ey!“ Und ich antworte: „Ey sorry, ich bin in Wirklichkeit ein Läufer. Ich bin eigentlich ein Guter!“

Im Innersten frage ich mich oft: Was bin ich denn nun eigentlich? Ein Läufer, ein Fußgänger, ein Radfahrer oder ein Autofahrer?
Muss ich mich entscheiden? Jetzt? Unsere Zeit verlangt Entscheidungen und klare Abgrenzungen. Früher, in den 1990er-Jahren, war man entweder Punk, Popper, Waver, Metalhead, Skinhead, Grüner oder Junger Unionler. Dazwischen gab’s nix. Nicht mal WhatsApp.
Heute ist es mehr eine Sehnsucht, etwas ganz Bestimmtes zu sein. Ich bin in erster Linie ein Mensch. Und dann ein laufender Mensch, der ein Auto besitzt und auch die U-Bahn nutzt.
Wo wir grad beim Innersten sind: Tief im Herzen weiß ich, dass es das Beste wäre, wenn ich nur laufen würde. Für die komplette Menschheit wäre es wohl ein Rückschritt, würden alle nur noch zu Fuß gehen, aber ich alleine – für mich wäre das sehr gut.
Auf Facebook hat jemand kommentiert, dass sich Trailrunner, die zum Trainieren mit dem PKW in die Berge reinfahren, nicht über künstliche Beschneiung von Skipisten Mitte Oktober bei 25 °C Außentemperatur echauffieren dürfen. Ist das so? Darf ich mich demnach auch nicht mehr gegen AKW aussprechen, wenn ich Strom daraus nutze? Darf ich denn nur für E-Mobilität sein, wenn ich selbst so einen Wagen fahre und dabei garantiere, dass der Strom ganz grün ist?
Man würde sich eine Menge Ärger, Gewissenskonflikte und Diskussionen ersparen, würde man nur laufen. Wer demonstriert eigentlich fürs Laufen? Wo ist die Lauflobby? Alle haben ’ne Lobby: Autofahrer, Bahn, Lastenradfahrer, Mountainbiker, Globulihersteller, Fußballspieler, Flugtaxis.

Ich denke, der einzige, der für sich die beste Mobilität entdeckt hat, ist Wigald Boning. Der Moderator und Musiker hat aus Mobilität eine Kunstform gemacht. Er fährt Tretboot, er radelt, fährt Zug und läuft. Dabei kommt er nach eigenen Aussagen nie zu spät, weil er einfach immer schon einen Tag vorher losmacht.
Es ist also ein Problem, dass der Trailrunner an exklusiven Orten rennen möchte, dass er einen 100-Meiler in den USA laufen will oder am Lions Head bei Kapstadt. In absoluter Konsequenz müsste er von hier dorthin laufen.
Ich habe keine Lösung für euch. Sorry. Ich mogle mich selbst durch mein Gewissen, über Trails und vorbei am Umweltschutz.

Aber ich weiss, dass es unter uns unglaublich engagierte und integre Menschen gibt, die das mit der Lauferei auch sehr umfassend leben, auf das Auto und den Flieger verzichten, zu Communityruns mit dem Zug oder Bike kommen und keine Tiere essen (was ja unfassbar viel Sinn macht, wenn man Tiere gern hat).

Zurück zum Anfang um das irgendwie zu Ende zu bringen. Ich will, wenn ich in den Bergen bin, kein Tourist sein. Ich will viel mehr ein Teil der Berge sein. Ich will zur Natur gehören und kein Besucher sein der stumpf auf ihr herumtritt.

Ich will. Ich will. Ich will.
Meine Mama hat immer gesagt: “Denis, der Willi ist gestorben!”.

Ich versuche mich zu bessern.