Dieses Foto ist ein Screenshot eines Livestreams und nicht besonders scharf. Doch hinter diesen paar Pixeln verbirgt sich eine lange (Lauf-)Geschichte.
Nach 68 Runden, 68 Stunden und 456 Kilometern bzw 283 Meilen hat sich Courtney Dauwalter ihr Finisherbier verdient. Die Frage nach dem Bier war jedoch erst Frage Nummer zwei im Ziel. Frage Nummer eins war natürlich: „Wo ist Harvey?“. Harvey Lewis lag im Zelt. Völlig erschöpft. Er schaffte es nicht die 68. Runde zu beenden, verhalf Courtney aber mit dieser Wahnsinns- Leistung und seiner Rolle als „Assist“ zur Einstellung des bisherigen Backyard Weltrekords. Der Schwede Johan Steene war es der an gleicher Stelle in Tennessee vor 2 Jahren 68 Runden lief und keine Geringere als Courtney Dauwalter selbst hatte ihm damals als Assist zu dieser Leistung verholfen.
Aber worum geht es hier eigentlich? Für alle die es nicht mitbekommen haben (was eigentlich fast unmöglich war): Dieses Wochenende fanden die Big´s Dog Backyard World Championship statt. Nicht wie die Jahre zuvor in Tennessee. Nein, in diesem ganz besonders verrückten Jahr wurden 21 Satelittenrennen in 21 verschiedenen Ländern ins Leben gerufen, bei welchen jeweils 15 Läufer zur selben Zeit mit dem einen Ziel starteten: Zu laufen, bis keiner mehr läuft. Last Man Standing trifft es ganz gut. Obwohl es in letzter Zeit immer öfter hieß: Last Women Standing. Schnelligkeit ist beim Backyard nicht wirklich entscheidend. In einer Stunde muss man 6,706 Kilometer laufen, um jeweils zur vollen Stunde wieder auf die nächste Runde zu starten. Nach 24 Stunden hat man dann immerhin schon 100 Meilen in den Beinen. Für ein Finish (nur der letzte Läufer finisht) muss man aber erfahrungsgemäß noch ein paar Runden drauf legen.
Eines dieser 21 Länder war die Schweiz. Im Züricher Stadtteil Witikon fand im Mai der erste Witiker Backyard Ultra statt. Klar, dass Renndirektor Carsten Drilling knappe 5 Monate später bei der WM auch ein Team an den Start bringen wollte. Wir waren in Zürich vor Ort und haben aus nächster Nähe beobachtet wie das von Carsten hochkarätig zusammengesetzte Team eine Runde nach der anderen absolvierte. In einem Tempo, dass für viele der schnellen Top-Läufer wohl sehr ungewohnt war. Aber es hatte sich eben rumgesprochen, dass diejenigen beim Backyard besonders lange durchhalten, die von Beginn an besonders langsam laufen. Nach 30 Runden drehten neben der Schweizerin Luzia Bühler noch Dynafit Athlet Matthias Dippacher und der Schwede Niklas Sjoblöm ihre Runden. Doch dann ging alles ganz schnell. Luzia musste nach 30 Runden aussteigen und auch Dippacher gab sich eine Runde später geschlagen. Wir können bezeugen, dass beide ihr letztes Hemd hergaben. Nur Niklas Sjoblöm, der im Mai schon mit 41 Runden in Witikon triumphierte, zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen. Er dürfte wahrscheinlich etwas enttäuscht gewesen sein, dass seine 32. Runde nun schon seine letzte war. Wieviel Reserven er noch hatte, konnte man an der letzten Rundenzeit ablesen. Lief er bisher immer Zeiten zwischen 50 und 55 Minuten, war er auf seiner finalen Runde schon nach 25 Minuten wieder zurück. Vermutlich die schnellste Runde, die je bei einem Backyard gelaufen wurde. Und das auf dem schwierigen Züricher Kurs mit immerhin 100 Höhenmetern.
Auch im pfälzischen Kandel hatte Renndirektor Michael Ohler ein sehr erfahrenes Team zusammengetrommelt, um Deutschland bei der Backyard WM gut zu vertreten. Nach 40 Runden kreisten nur noch drei Läufer unermüdlich um das Kandeler Stadion. Bienwald Backyard Organisator Michael Ohler selbst, der Sieger des ersten Bienwald Backyards Andreas Löffler (Bestleistung: 46 Runden) und, ja und, ein gutgelauntes Mädchen in Sandalen. Was die erst 30 jährige Marina Kolassa hier ablieferte, war einfach nur phänomenal. Tanzend und mit einer ungemein ansteckenden Fröhlichkeit lief sie eine Runde nach der anderen. Getreu dem Motto „Laufen macht Spaß“ und immer schneller als ihre beiden weitaus erfahreneren Mitläufer. Nach 50 Runden hatten die beiden genug und traten nicht mehr zur 51. Runde an. Jene wurde dann zu Marinas Siegesrunde. 51 Runden, deutscher Backyard Rekord und ein letzter Tanz. „Eine Woche wach.“ Man haben wir einen Ohrwurm!
Genau wie Courtney Dauwalter, gewann Marina ihr Satelittenrennen. Nur in Belgien gab es zwei Läufer, die auch dieser geballten Frauenpower gewachsen waren. Ja und ehrlich gesagt, es ist unglaublich. Fast wurden wir gezwungen zu schreiben: Sie laufen immer noch. Das Google Datasheet mit allen weltweiten Ergebnissen hatte es inzwischen zerlegt, aber Karel Sabbe (FKT Halter Pacific Crest Trail und Appalachian Trail) und Merijn Geerts interessierte das nicht. Sie drehten weiter ihre Runden. Mittlerweile seit 3 Tagen. Nochmal zu Erinnerung: 69 war der bisherige Weltrekord. Erst auf Runde 75 kehrte Merijn nicht mehr zurück und kührte den unglaublich frisch aussehenden Sabbe damit zum Backyard Champion. Die Belgier gewannen auch die Teamwertung. Sie liefen insgesamt die meisten Yards (567 Runden).
Hier alle Ergebnisse:
Das neue Ultrarunning Magazin erscheint am 06.11.! Wer, wie wir, nach diesem Wochenende voll mit dem Backyard Virus infiziert ist, sollte es nicht verpassen. Das Thema Backyard Ultra wird in diesem Heft eine große Rolle spielen.
Diese grossartigen Fotos entstanden in Zürich Witikon. Danke Pascal Quaiser.