Anna Frost im Interview

„Ich musste die Lust am Laufen neu entdecken “

Anna Frost steht wie keine Zweite für die Idee, ja die Utopie des Trail Running: eine Weltenbummlerin, die ihre Siege erlebt und nicht erkämpft. Doch plötzlich stand all das infrage. Ein Gespräch über die Krisen einer Sportlerin und die Krisen eines Sports

Anna, du hattest dich zuletzt rar gemacht und genau das auch thematisiert. War für dich sogar das Ende deiner Rennkarriere ein Thema?
Die Frage hat sich so für mich gar nicht gestellt. Ich wollte einfach laufen und musste mir deshalb die schmerzhafte Frage stellen, warum ich das eine Zeit lang nicht mehr konnte: einfach Lust darauf haben rauszugehen und rumzurennen. Ich habe die Systeme ziemlich runtergefahren, ein reinigender Prozess. Eine Erkenntnis: Ich bin glücklich mit den Rennen, die ich gelaufen bin und soweiso mit denen, die ich gewonnen habe. Aber wenn jetzt jemand sagen würde, hey das wars, dann wäre das auch okay. Nur bedeuten die Rennen ja immer auch Reisen. Wahrscheinlich ist das der Grund, um weiterhin Rennen laufen – um zu reisen.

Darin steckte also keine Kritik am „Rennzirkus“ im Generellen?
Als ich zum ersten Mal in Italien bei einem klassischen Berglauf gestartet bin, sind die Frauen 8 km gelaufen und die Männer 12 – auf der gleichen Strecke! Die Frauen haben einfach schon weiter oben angefangen. Hey, ich kann das schon auch, da von ganz unten hochlaufen, was soll das denn? Wir waren da im Trail Running schon immer weiter. Die gleichen Strecken und meistens auch die selben Preisgelder, der Sport pflegt das, was man Augenhöhe nennt.

WIr haben von männlichen Athleten schon auch gehört, dass es ihr Ziel sei, bei einem Lauf auf jeden Fall vor der schnellsten Frau anzukommen …

… und was kommt dann? Auf jeden Fall vor dem schnellsten Asiaten? Ich bin in einer Welt groß geworden, in der Männer auf Frauen stolz sein können und Frauen auf Männer. Und ich liebe einen Sport, in dem sich alle Läufer und Läuferinnen gemeinsam feiern, die Schnellen und die nicht ganz so Schnellen.

Ein schönes Bild dafür ist ja der gemeinsame Start aller Läufer in der Dunkelheit am Leuchtturm von Fuencaliente.
Ich liebe diesen Moment, liebe La Palma und die Transvulcania. Die Insel gibt mir Ruhe und Energie, die Leute sind fantastisch. Ich bin auch nicht Trail Runnerin geworden, um irgendwann bei einem Rennen eine Stunde vor den anderen im sogenannten Elitefeld zu starten. Ich weiß nicht einmal, was das sein soll, die Elite. Nicht in der Gesellschaft, nicht im Sport, schon gar nicht im Trail Running. Wenn jetzt Leute laut sagen, diese „Professionalisierung“ sei nötig, damit der Sport zum Beispiel eines Tages eine olympische Disziplin werden kann, dann sage ich, genau das soll, das darf Trail Running nie werden.

Gefällt uns gut, dass du dieses Thema von alleine ansprichst …

Ich glaube, wir ahnen doch alle, was so eine Entwicklung bedeuten würde: Finanzielle Interessen, Kräfte von außen, die den Sport vereinahmen wollen, der Versuch, strikter zu definieren und zu reglementieren, was Trail Running eigentlich ist – wenn du der „olympischen Idee“ die Hand reichst, sind diese Probleme unmittelbar da.

Aber romantisierst du jetzt nicht einen Sport, der sich in den vergangenen Jahren ganz schön entwickelt und, ja, auch professionalisiert hat?

Mag sein. Nur würde ich nicht sagen, dass ich das Trail Running romantisiere. Ich plädiere viel eher für das Mountain Running, das ich in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren erleben durfte. Angefangen von meiner Zeit als Rucksackreisende nach der Highschool, ich bin um die Welt gereist und irgendwann die Berge hoch und runter gelaufen, ohne zu wissen, was das für ein Sport ist und wie der eigentlich heißt. Da kam nicht plötzlich irgendein Sponsor und sagte, hier hast du einen Kofferaum voller Schuhe und einen Scheck, jetzt bist du ein professioneller Läufer, so lief das bei mir nicht. Und so läuft es ja heute auch nur für die Allerallerwenigsten.

Dennoch wird, auch von deinem Ausrüster, gerade sehr viel in die Jugend investiert. Plötzlich starten 19-Jährige bei den großen Rennen und sind großartig erfolgreich. Du selbst warst ja in Garmisch bei der Salomon Running Academy dabei.
Und es war eine tolle Zeit, mit jungen Athleten, die teilweise halb so alt waren wie ich. Aber es waren tatsächlich Athleten, ich hatte diesen Begriff mit 17, 18 Jahren nicht einmal in meinem aktiven Wortschatz. Ich habe mich treiben lassen, letztlich hat es mich ja auch zum Trail Running irgendwie hingetrieben. Heute denke ich manchmal, dass man ohne einen konkreten, konsequenten Plan für seine sportliche Laufbahn gar keine Chance mehr hat. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Nur sollten sich die jungen Menschen die Freiheit bewahren, etwas nur für sich zu tun. Und nicht für Facebook, den Sponsor, den Trainingseffekt …

Womit wir wieder bei der Professionalisierung wären, beim Tempo, das Trail Running in den vergangenen Jahren aufgenommen hat.

Rückblickend würde ich sagen, dass diese Entwicklung so ab 2012 wirklich bemerkbar wurde. Plötzlich gab es viel mehr große, meinetwegen auch „wichtige” Ultras, die Leute haben angefangen, vier, fünf oder sechs solcher Rennen pro Saison auf Anschlag zu laufen. Und plötzlich wurde in einer Szene vom „Übertraining“ gesprochen, die fünf Jahre vorher, bildlich ausgedrückt, nicht mal vom Training gesprochen hat, sondern nur vom Rumlaufen in den Bergen.

Aus dem Spaß war Ernst geworden?
Wer im Jahr fünf, sechs Mountain Ultras läuft und sich darauf konzentriert und professionell vorbereitet, der kann mir erzählen was er will, er wird die Muse, die Empfänglichkeit für all das Großartige da draußen irgendwann verlieren. Viele haben sich plattgelaufen, im Kopf und auch im Körper. Denkt doch nur mal an Timothy Olsen oder Tony Krupicka, zwei der besten auf den langen Distanzen, die sind quasi chronisch verletzt. Auch mir ging es ja eine Zeit lang gar nicht gut.
Du hast, erst recht mit deinem Flim „Paradise Lost“, sehr offen von dieser Krise erzählt.
Zunächst war der Film ja auch eine radikal emotionale Erfahrung für mich. Es gab schon lange die Idee von Dean Lesli und den Leuten vom African Attachement, die die Flime fürs Salomon Running TV machen, etwas über meine Kindheit in Neuseeland zu erzählen. Nur habe ich als kleines Kind nicht in Neuseeland gelebt, sondern in Papua Neuguinea, wo meine Eltern in der Entwicklungshilfe gearbeitet hatten. Diese Reise in eine so ferne Welt, die auch für mich nur noch in verschwommenen Erinnerungen existiert hat und das zu einer Zeit, in der ich auch selbst mal wieder unterwegs war zur Frage, wer diese Anna Frost eigentlich ist, das war schmerzhaft, intensiv, aber auch reinigend. Heute kann ich selbstbewusst sagen, dass mir das Laufen gar nicht mehr so wichtig ist. Und trotzdem, oder gerade deshalb, wieder mit riesigem Spaß an der Startlinie beim Hardrock 100 stehen.

Der Hardrock 100 war, sportlich betrachtet, dein großes Thema dieses Jahres?

Absolut, und der Sieg hat mir unheimlich viel bedeutet. Ich mag die Atmosphäre, das Lässige, Gemeinschaftliche, bei den großen amerikanischen Rennen. Und ich lebe ja jetzt zeitweise bei meinem Freund in Colorado, habe da in diesem Jahr auch meinen ersten wirklichen Winter seit 15 Jahren verbracht. Sonst war ich zu dieser Zeit ja immer im neuseeländischen Sommer. Aber um bei unserem Thema zu bleiben, der Professionalisierung des Sports: Ich kann in die USA, also zu meinem Lebensgefährten, immer noch nur mit einem Touristenvisum einreisen, das mich zwingt, das Land alle paar Monate wieder zu verlassen. Für eine permanente Aufenthaltsgenehmigung fehlt mir schlicht ein sicheres Einkommen, überhaupt ein nennenswertes Einkommen.

STECKBRIEF ANNA FROST

Die 35-Jährige kam über das Reisen zum Rennen. Und wurde „so um 2004 herum“ zur professionellen Athletin in einem sich professionalisierenden Sport. Zweimal hat Anna Frost die Transvulcania gewonnen, zweimal den Hardrock 100. Daneben hat sie als Schmuckdesignerin gearbeitet und immer wieder mit Kindern – etwa für ihr Kinderbuch „Fearless Frosty“. Die Neuseeländerin verzichtet auf einen festen Wohnsitz und schätzt ihren „postmateriellen Lebenstil“, den sie demnächst, etwa für eine Stelle an einer internationalen Schule in der Schweiz, zeitweise aufgeben wird.

Interview: Niedenthal / Wischniewski