Selbstversuch: Auf dem Laufband laufen

29. März 2024 •

Am 18. Januar um 13.45 Uhr kam es an. Zwei Männer aus Osteuropa stellten das Paket wortlos vor der Redaktionstür ab. Meine Kollegin fragte mich, was das um Gottes Willen wäre. Ich antwortete peinlich berührt: „Ein Laufband.“ Ja, ja. Ich werde es so aufstellen, dass es keiner sieht!
Es heißt Domyos. Domyos 900T und ich stehe vor einer meiner größten Aufgaben. Zunächst: Ich bin Journalist, Grafik-Designer. Ein Schöngeist. Bis heute weiß ich nicht, wie rum man eine Schraube anzieht bzw. löst.
So eine Montage macht mich nervös. Es ist eine echte Hürde. Wie ein Ultratrail. Aber dass so ein Laufband nicht fertig aufgebaut angeliefert wird ist auch mir klar. Ich stelle mich also auf einen Ikea-mäßigen Bastelnachmittag ein. Dass ich für einen Lauf derart in Vorleistung gehen muss ist etwas vollkommen Neues für mich. Um es abzukürzen – nach rund 60 Minuten steht das Sportgerät. Ich bin sehr stolz und mir sicher, dass es firme Hände gibt, die das in 20 Minuten zusammenbekommen. Nun ja. Es gibt Leute, die laufen den ZUT in elf Stunden und andere brauchen 23. Am Ende jedoch geht es um das Finish. Ich stecke den Stecker in die Steckdose – und Domyos 900T piept. Es lebt! Herrlich.
Ich habe kein Verhältnis zu Laufbändern. Ich bin in meinem ganzen Leben vielleicht fünf- oder sechsmal auf einem gelaufen. Zweimal im Wellnessbereich eines Hotels, zwei weitere Male bei einer Leistungsdiagnostik und einmal aus Verzweiflung in einem Fitnessclub. Eigentlich ist so ein Laufband das komplette Gegenteil von einem schönen Trailrun in der Natur. Es hat bis auf die Bewegung und die Ausdauerleistung keinerlei Gemeinsamkeiten. Laufen auf dem Band und Laufen auf einem Bergtrail verhalten sich zueinander wie etwa Golfspielen und Klettern oder Angeln und Wellenreiten. Egal. Ich will offen sein für Neues. In Zeiten, in denen die besten Trailrunner der Welt in Fitnessstudios gehen und Intervalle auf der Bahn laufen, werde ich ja wohl auf einem Laufband laufen dürfen.
Ich drücke auf Grün. Das Display piept und leuchtet auf. Ich bin mindestens so fasziniert wie damals, als der Commodore C64 mit mir Kontakt aufnahm. Es gibt acht Tasten. Von 4 km/h bis 22 km/h. Draußen beginnt es zu schneien. Selbst mitten in München liegen im Moment 50 cm Schnee. Zudem ist es kalt. Ich will nicht behaupten, dass es zu kalt oder zu winterlich wäre um draußen zu laufen, aber es ist kein Wetter für kurze Hose und kurzes Trikot. Mein Herz sehnt sich Ende Januar nach Frühling und Sommer. Bin ein Sommerkind. Minus 4 °C draußen. 19 °C drinnen. Ich habe jedenfalls mein leichtestes Sommerlaufoutfit an und laufe nochmal rüber an den iMac, um die Bose-Box anzusteuern. Ich klicke auf Spotify und wähle den „Hardcoremetalmix“. Merauder, Machine Head, Terror, Cold as Life und Madball. Stumpfe Ballermusik. Kopfhörer? Nö. Ich hüpfe auf das Band, laufe mich bei 10 km/h warm und gröle bei – noch – genügend Sauerstoff laut mit Merauder mit: „Life is pain, life is f…..g pain!“ Das sollte ich übrigens ungefähr 15 Minuten später bei 16 km/h schon deutlich spüren. Meine Erlebniswelt ist reduziert. Alles ist in diesen 45 Minuten reduziert. Spotify macht diese knappe Stunde erträglich. Und das Gefühl, in diesen kurzen Klamotten zu laufen. Es fühlt sich gut an. Zu gucken gibt’s nix. Mein Hund rennt nicht hinter mir, nicht neben mir, nicht vor mir und ich vermisse es irgendwie, Mavi hinter herzurufen. Kurios: Sie liegt auf dem Sofa, ich renne einen 18-km/h-Intervall und sie bemerkt es nicht einmal. Mich überkommt ein schlechtes Gewissen. Ich sollte mit ihr laufen und nicht „bei“ ihr. Die Suppe läuft mir aus allen Poren. Gefühlt ein Hochsommerlauf.  Ich bin nach 30 Minuten erstmals an einem Punkt, an dem ich denke, dass ich schon richtig was geleistet habe. Passiert mir draußen nach 30 Minuten nie.  Handy klingelt.
Ein guter Freund.
„Hey, alles klar? Was machst?“
„Bin laufen!“
„Ah, wo treibst dich rum?“
„Äh … also … ja hier halt. Im Büro. In der Redaktion.“
„Wooo?!“
„Hinterm Vorhang im Lager.“
Fazit: Ich bleibe dabei. Ich mag das. Dieses Band nimmt einem viel und es gibt viel. Es verwehrt einem alles, was ein Trail hat – Natur, frische Luft, Tiergeräusche, Grasgeruch, eine Windböe, eine Bachquerung. Auf der anderen Seite ist man so unfassbar fokussiert auf sich selbst, auf seine Laufbewegung, auf die Distanz, die am Display abläuft.
von Denis Wischniewski

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